Predigt zum Fest der heiligen Apostelkoryphäen Petrus und Paulus (2. Kor. 11: 21 – 12: 9; Mt. 16: 13-19) (12.07.2019)

Liebe Brüder und Schwestern, 

auf dem Analogion inmitten der Kirche liegt heute die Ikone der beiden größten Missionare der Kirchengeschichte aus. Manchmal sind die Aposteln Petrus und Paulus ikonographisch nebeneinander stehend abgebildet, manchmal auch in inniger Umarmung, wodurch die Ebenbürtigkeit dieser beiden größten Glaubenszeugen unterstrichen werden soll. Bekanntermaßen erlitten beide Aposteln das Martyrium im selben Jahr (67 n. Chr.), wohl aber nicht an einem Tag. Trotzdem hielt es die frühe Kirche für angebracht, das Fest der beiden größten Apostel an einem Tag zu begehen, um menschlichen Diskussionen darüber den Boden zu entziehen, wer denn nun der größte unter den Aposteln sei (vgl. Lk. 22:24; Joh. 13:34-35; 1 Kor. 3:3-4; 21-23). Es ist gewiss menschlich, dass wir z.B. den einen Geistlichen einem anderen vorziehen, aber dieses Menschliche darf in der Kirche niemals einziges und oberstes Kriterium sein. Schließlich sind alle verschieden, unterschiedlich begabt und von miteinander unvergleichbaren Faktoren geprägt (soziale Herkunft, Kulturkreis, Biographie etc.). Das soll aber kein Nachteil sein (vgl. 1 Kor. 12). So war Petrus ein Mann der ersten Stunde, Paulus ein Newcomer. Wenn man sich die Situation einmal aus menschlicher Perspektive vergegenwärtigt, erkennt man, dass sie enormes Konfliktpotential barg: Eifersucht, Geltungsdrang, Missgunst, Intrigen – was es da nicht alles hätte geben können!.. Welche Größe aber zeigt Petrus, als er in Antiochia von seinem jüngeren Mitbruder vor der versammelten Gemeinde getadelt wird (s. Gal. 2:14)! Und so bewahrheiten sich die Worte der Schrift: „Rüge den Zuchtlosen nicht; sonst hasst er dich. Rüge den Weisen, dann liebt er dich“ (Spr. 9:9). Wie weise Gott an Seinen beiden auserwählten Gefäßen der Gnade doch handelt! - Petrus, im Brauchtum der damals noch präsenten Heimat verwurzelt, wird zum Apostel der Beschnittenen in der Diaspora, während der Kosmopolit Paulus berufen wird, den Heiden das Evangelium zu verkünden (s. Gal. 2:7-8). Petrus hätte mit seinem jüdischen „Konservatismus“ nicht annähernd so viel unter den Heiden bewirken können, wie der in der hellenistisch-römischen Kultur bewanderte Paulus, der als Inhaber der römischen Staatsbürgerschaft natürlich einen ganz anderen Zugang zu den Menschen der zivilisierten Welt  hatte. Einen galiläischen Fischer hätte man z.B. in Athen gar nicht erst vor die Tür des Areopags gelassen (s. Apg. 17:19). Demgegenüber erregte Paulus mit seinem „Erneuerungseifer“ die Gemüter der Alteingesessenen, die sich noch fest in den rituellen Gepflogenheiten des Judentums verankert sahen. Mit einem Quereinsteiger als oberster Autorität, dem auch noch die heidnische Gelehrsamkeit als Makel anhaftete, hätte es unter den Beschnittenen nur Zank und Hader gegeben.

Diese Vielfalt an Gaben, die wir allein schon in den zwei Apostelfürsten erkennen, ist beispielhaft für die ganze kirchliche Vielfalt. Es ist dabei völlig normal und folgerichtig, dass zu allen Zeiten konstruktiv über den richtigen Weg diskutiert wird (s. 1 Kor. 11:19), aber niemals darf die innere Einheit der Kirche infolge menschlicher Schwäche und weltlicher Gesinnung erschüttert werden (s. 1 Kor. 3:3). Im ersten Fall wirkt der Heilige Geist durch das beherzte Handeln der Menschen, im zweiten reibt sich nur der Widersacher die Hände vor Freude.    

Es heißt, dass sich die Geschichte ständig wiederholt, weil die Menschen nicht die notwendigen Schlüsse aus den negativen Lehren der Vergangenheit ziehen. Es gab zu Beginn der Kirchengeschichte eine lange Zeit der Verfolgung der Kirche durch äußere Feinde. Nachdem die Zeit der Drangsal von außerhalb vorbei war, begann die Erschütterung durch innere Feinde. So ist es auch heute auf dem kanonischen Territorium der Russischen Kirche und anderswo, so wird es immer sein. Hier auf Erden müssen wir auf Seiten der „kämpfenden Kirche“ sein, wollen wir dereinst im Himmel zur „triumphierenden Kirche“ gehören. Oder dachte jemand allen Ernstes, es würde für die Kirche nun nach dem Fall des Kommunismus eine lange Epoche der Entspannung eintreten?!..

Wer für die Wahrheit Gottes eintritt, darf diese freilich nur mit den „Waffen der Gerechtigkeit“ verteidigen (s. 2 Kor. 6:7). In einem Meinungsstreit oder Interessenskonflikt wird von mir mitnichten erwartet, dass ich meine Positionen von vornherein aufgebe und meine vitalen Interessen verleugne. Im Gegenteil, ich habe das Recht auf meinen eigenen Standpunkt und auf die Berücksichtigung meiner Interessen. Aber die Wahrung meiner Bedürfnisse kann und soll auch mit dem verständnisvollen Blick für die Belange des oder der anderen einhergehen. Mit anderen Worten: Ich soll nicht versuchen, rücksichtslos das Maximum für mich herauszuschlagen, sondern bemüht sein, die beste Lösung für alle gemeinsam zu finden. Wenn ich das tue, werde ich das Vertrauen und die Anerkennung meiner Dialogpartner gewinnen. Das war wohl der Weg, den die beiden obersten irdischen Kirchenvertreter einschlugen, als sie um eine Lösung im Streitfall der Beschneidung der Heidenchristen rangen. 

Der Grundsatz: „In erstrangigen Fragen Einheit, in zweitrangigen Freiheit, doch in allem Liebe“ wurde als Einheitsmodell schon auf dem Apostelkonzil 51 n. Chr. in Jerusalem (s. Apg. 15: 6-35), der ersten Bewährungsprobe für die Kirche, offenbar, bei dem im Heiligen Geiste beide Lager zu einer einvernehmlichen Lösung (s. Apg. 15:28) übereinkamen. Nun liegt es an uns, fortan die notwendigen Schlüsse aus den positiven Lehren der Geschichte zu ziehen und besonders an diesem Tag für die Einheit der Kirche zu beten.  Amen.

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch