Predigt zum 2. HT n. Pfingst. / Festtag aller Heiligen des Russischen Landes (Röm. 2: 10-16; Mt. 4: 18-23) (30.06.2019)

Liebe Brüder und Schwestern,

als „Fortsetzung“ von Pfingsten und Allerheiligen feiern wir heute das Gedächtnis unserer nationalen Heiligen. Vor einer Woche sprachen wir gerade davon, dass infolge der Taufe mit dem Heiligen Geist (s. Mt. 3:11; Mk. 1:8; Lk. 3:16; Apg. 1:5) Heiligkeit die Berufung aller Christen ist (s. Lk. 1:75; Röm. 6:22; Eph. 4:24; 1 Thess. 4:4,7; 1 Tim 2:15; Hebr. 12:10,14). Heiligkeit ist demnach nicht die ideale Zielvorstellung einiger weniger Auserwählten, sondern die Norm für uns alle. Auch wenn wir wissen, dass wir nicht wie Heilige leben – unsere Herzen und unsere Gedanken sind zumeist irdischen statt himmlischen Dingen zugewandt – dürfen wir nicht den Mut verlieren. Schon durch das demütige Eingeständnis der eigenen Unwürdigkeit und durch die Zerknirschung ob unserer Sünden begeben wir uns auf die ersten beiden Stufen zur Seligkeit (s. Mt. 5:3-4). So bedauern aufrichtige Gläubige in der Beichte, dass sie „müßig“ lebten und kaum Zeit und Kraft für ein geistliches Leben hätten. Aber ist der Weg zur Heiligkeit allein durch Gebet und Fasten vorgezeichnet? - Der heilige Makarios der Große (+390/1) war ein herausragender Wüstenvater, der ob seiner asketischen Lebensweise vielleicht schon dachte, er gefalle Gott mehr als andere. Daraufhin schickte ihn der Herr nach Alexandria, wo er zwei Frauen erblickte. Dann sagte Gott: „An diesen beiden habe ich mehr Gefallen als an dir“. Als der Asket die Frauen fragte, wie sie so lebten, stellte sich heraus, dass sie ein völlig normales Leben wie tausende andere führten: morgens und abends beteten sie kurz, gingen Sonn- und Feiertags in die Kirche, erzögen ihre Kinder im Glauben, führten den Haushalt etc. Mehr nicht? Nein, sonst nichts. Ach ja, beide hätten etwas ungehobelte Männer, die nicht immer respektvoll mit ihnen umgingen. Das jedoch ertrügen sie mit Demut, Langmut und Dankbarkeit… Um diese Erkenntnis reicher kehrte der Heilige wieder in die Wüste zurück.

Demzufolge kann heute z.B. ein Busfahrer seinen Job in Heiligkeit verrichten, indem er seine Fahrgäste so behandelt, als seinen sie der Herr Jesus Christus mit Seiner Allerreinsten Mutter, mit Ihnen die zwölf Jünger und die myrontragenden Frauen (vgl. Hebr. 13:2); eine Brötchenverkäuferin kann in ihren Kunden kontemplativ die zwei Jünger erkennen, die Brot für das Mahl des Herrn besorgen (vgl. Mt. 26:17-19; Mk. 14:12-16; Lk. 22:7-13) usw. Wir haben nicht die Macht, gleich die ganze Welt zu verändern, aber was in unserem Herzen passiert, hängt letztlich nur von uns ab. Es ist ja der einzige Ort, für den Gott zum Betreten unsere Zustimmung braucht. Uns ist es nicht gegeben, auf einmal die gesamte Gesellschaft zu transformieren, aber unsere eigenen vier Wände – unser Zuhause und unsere Kirche – können wir sehr wohl in einen neuen Garten Eden verwandeln. Ich soll ja nur das tun, wozu Gott mich berufen hat. Das ist der Weg des Heils. Ich begebe mich einfach in Gottes Hand und sage: „Dein Wille geschehe“ (Mt. 6:10) und: „Handle an mir nach Deinem Wohlgefallen!“ Ich vertraue meinem Herrn und weiß, dass Er nur Gutes für mich will. Böses kann von Gott nicht kommen. Widerstände und Prüfungen gehören aber ganz selbstverständlich dazu, damit ich mich Seiner unendlichen Güte als würdig erweisen kann. Diesen vom Herrn seit Urzeiten vorgezeichneten Weg (meinen „individuellen Heilsplan“) will ich resolut gehen. Er gebe mir die Kraft, die Weisheit, das Herz und den Willen, dieses Ziel zu erreichen!   

Wenn wir aber stattdessen Gott „bevormunden“, Ihm von der Kanzel ständig sagen, wie Er zu sein und wie Er zu agieren hat, verlassen wir den Weg der Gnade und des Heils. Denn Gott steht über den Menschen, nicht umgekehrt!

Um ständig in der seligmachenden Gnade Gottes zu verweilen, müssen wir  unsere Denkweise verändern (griech. metanoia – Umkehr, Kehrtwende). Verdienen wir es denn, im irdischen Sinne glücklich und zufrieden zu sein? Das, was wir an irdischen Dingen haben, nehmen wir als gegeben, streben aber nach mehr. Würde Gott uns das jedes Mal geben, würden wir niemals unsere Gier befriedigen. Gott will unseren Fokus auf das Himmlische richten, weshalb Er uns Prüfungen aussetzt, die zu einem grundlegenden Umdenken führen sollen.  

Wir Christen sind immer der teuflischen Versuchung ausgesetzt, dem „Herrscher dieser Welt“ (s. Joh. 12:31; 14:30; 16:11) statt unserem Herrn zu dienen (vgl. Mt. 4:1-11; 6:24; Mk. 1:12; Lk. 4:1-13; 16:13). Die Kanones der Kirche verbieten demzufolge jegliche politische Betätigung kirchlicher Amts- und Würdenträger. Wie weise der Heilige Geist in der Kirche wirkt, merkt man anhand des im wirksamen Gegensatz dazu stehenden Einsatzes für „Menschenrechte“ in Ländern, in denen bunt angezogene und bemalte Männer, Frauen und Diverse sich nicht auf öffentlichen Paraden knutschen dürfen. Wer denkt denn dabei schon daran, dass die „fortschrittlichen“ Länder, aus denen diese „Freiheitsbewegungen“ jetzt vor allem in noch an christlich-konservativen Werten orientierte Länder exportiert werden, mit ihrer aggressiven postkolonialen Handelspolitik dafür verantwortlich zeichnen, dass in Asien, Afrika und Lateinamerika wirkliche Menschenrechte wie der Zugang zu Wasser, Nahrung, menschenwürdiges Wohnen, Sanitäreinrichtungen, medizinische Versorgung, faire Löhne, körperliche Unversehrtheit und nicht zuletzt Glaubensfreiheit für die meisten Menschen ein unerfüllbarer Traum bleiben?..

Wie dem auch sei, unsere Aufgabe besteht darin, den Menschen die Botschaft Gottes zu verkündigen. „Euch jedoch muss es um Sein Reich gehen; dann wird euch das andere dazugegeben“ (Lk. 12:31), spricht der Herr. Das bedeutet nichts anderes, als dass wir das Reich Gottes in uns selbst suchen und finden müssen (s. Lk. 17:21). Es wäre der erste Schritt auch zur Lösung globaler Konflikte. Eine Suche außerhalb unserer Herzen wäre völlig zwecklos. Amen.

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch