Predigt zum Patronatsfest zu Ehren des seligen Isidor von Rostow und Brandenburg (27.05.2019)

Liebe Brüder und Schwestern,

wie jedes Jahr begeht unsere Gemeinde das Fest desjenigen Heiligen, unter dessen Schutz wir seit nunmehr 16 Jahren Gottesdienste feiern und zu Gottes Ruhm ein Gemeindeleben aufbauen. Am heutigen Festtag wird zudem die kleine Theodora in der Göttlichen Liturgie getauft, was allein schon ein Indiz dafür ist, dass die Gemeinde des heiligen Isidor reichlich mit „Gottes Gabe“ beschenkt worden ist. Als deutschsprachige Gemeinde in der Megapolis Berlin hat man es nicht leicht inmitten einheimischer Heterodoxie und fremdländischer Orthodoxie. Doch unter den gegebenen Umständen ist es uns, so meine ich, so weit ganz gut gelungen, mit Gottes Hilfe eine bescheidene Heimstatt für Deutsche bzw. Deutschsprachige orthodoxen Glaubens zu etablieren. Dass diese aber noch ausbaufähig ist, steht wohl außer Frage. Vielleicht kann uns ja das Lebensbeispiel unseres Gemeindepatrons die notwendige Inspiration für unseren weiteren Werdegang geben?

Der hl. Isidor begann seinen Weg im Schoße der Orthodoxie ja auch wie viele von uns als Konvertit, kam im 15. Jh. aus Brennabor a.d. Havel nach Rostow in eine für ihn völlig unbekannte Welt. Doch durch sein unerschütterliches Gottesvertrauen wurde er dort bald zu einem herausragenden Leitbild für nach sittlicher Vollkommenheit und Reinheit des Glaubens Strebende. Schließlich hat es in der Kirchengeschichte zu keiner Zeit eine Zivilgesellschaft gegeben, die in ihrer Ganzheit dem Ideal der ersten Christengemeinde (s. Apg. 2:43-47) auch nur annähernd entsprochen hätte. Es wäre wohl auch abwegig, diesen Anspruch sofort an das Kirchenvolk als Ganzes stellen zu wollen. Doch in der Intimität der Familie, der Einmütigkeit einer klösterlichen Gemeinschaft und eben in der Vertrautheit einer immer noch überschaubaren Kirchengemeinde kann man durchaus dieses Ideal der Urgemeinde zu Jerusalem vor Augen haben. Und wenn das überall mit größter menschlicher Hingabe geschieht, kann auch das große Ganze mit Gottes Gnade „zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in Seiner vollendeten Gestalt darstellen“ (Eph. 4:13).   

Die Rolle solcher Vorbilder wie das des hl. Isidor bei diesem Aufbauprozess, bei dem „der ganze Leib (…) durch Gottes Wirken wächst“ (Kol. 2:19), ist somit gar nicht hoch genug zu würdigen. Er wurde „Narr um Christi willen“, wählte den Weg der völligen Aufgabe aller irdischen Interessen, damit allein Gottes Wille mit ihm geschehe. Hohn und Spott, Prügel, Hunger und Kälte waren der Lohn dieser Welt, Gottes Gnade aber der Lohnvorschuss der kommenden Welt.

Wenn also schon im (scheinbar) christlichen Russland des Spätmittelalters die gelebte Verkündigung des Evangeliums auf derartige Widerstände traf, welchen Widerhall muss sie erst in unserer Epoche der Entchristlichung erwarten?!..

Rein äußerlich leben wir in einer vom Toleranzdenken geprägten Zeit, in der das Christentum in Europa formal noch die Mehrheitsgesellschaft bildet und in der man für seine Konfessionszugehörigkeit keinerlei Nachteile zu befürchten hat. Allerdings hört die Toleranz da auf, wo es „ans Eingemachte“ geht (Ehe, Familie etc.). Es ist völlig „normal“ geworden, sich für den Erhalt von Bäumen einzusetzen, aber gleichzeitig die Tötung von Kindern im Mutterleib zu forcieren; genmanipulierten Mais als Eingriff in die Natur abzulehnen, Geschlechtsumwandlungen jedoch als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes des Menschen zu feiern. In dieser pervertierten Welt möchte man doch als Christ gar nicht mehr als „normal“ gelten, oder?! - Dennoch ist es für  Christinnen und Christen im Zeitalter des Individualismus und Liberalismus verlockend, sich dem Mainstream anzupassen. Vor einigen Tagen hörte ich im Radio einen Beitrag zum 75. Geburtstag eines renommierten Wittenberger Theologen. Dieser sinnierte zwar über die Welt, aber nicht über Gott. In dem etwa fünfminütigen Beitrag kamen Angela Merkel, Donald Trump und Greta Thunberg zur Sprache, doch Jesus Christus wurde mit keinem Wort erwähnt. Man kann heute als „Theologe“ alle möglichen Botschaften verkündigen und dabei die Frohe Botschaft vom Reich Gottes außen vor lassen! Hier wird ein anderer Jesus verkündigt, weil ein anderer Geist empfangen wurde und dadurch ein anderes Evangelium gepredigt wird (s. 2 Kor. 11:4). Bei Laien kennt man das zur Genüge, dass für sie Christsein fast ausschließlich mit sozialem Engagement verbunden ist, aber bei hochgebildeten Theologen erstaunt es einen dann doch immer wieder aufs Neue. Sämtliche Überlegungen darüber, wie man dem eklatanten Mitgliederschwund beikommen soll, scheinen Abhilfe nur in einer noch größeren Involvierung in gesellschaftspolitische Prozesse zu sehen („Die Kirche muss politischer werden!“). Wenn die Kirchen sich aber darum kümmern, was eigentlich Sache der Politik ist, - wer kümmert sich dann um das, was Sache der Kirchen ist?!.. - Der ursprüngliche Begriff Seelsorger (z.B. in Krankenhäusern, Gefängnissen oder Streitkräften) ist heute zu einem Synonym für Sozialarbeiter oder Psychologe geworden, und das in zunehmendem Maße sogar im Kerngeschäft – der Gemeindearbeit. Ums Seelenheil geht es schon lange nicht mehr, weder den Hirten, noch den Schafen, denn eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der einzig unvermeidlichen Realität – der Endlichkeit des Lebens – findet partout nicht statt (vgl. dazu Mt. 24:42; 25:13; 26; Mk. 13:33,35,37; Lk. 21:36; 1 Petr. 4:7; 5:8). Gebete „um eine gute Rechenschaft vor dem furchtbaren Richterstuhl Christi“ muten dem „aufgeklärten“ Menschen völlig antiquiert an: „So etwas kann man dem modernen Menschen doch nicht zumuten“… Ein Christentum ohne Christus?! Nein, danke! Die Schrift sagt: „Wir aber haben nicht den Geist dieser Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt, damit wir das erkennen, was uns von Gott geschenkt worden ist“ (1 Kor. 2:12). Widrigenfalls rückt der Mensch in den Mittelpunkt des Weltgeschehens, maßt sich an, da korrigierend einzugreifen, wo Gott „versagt“... Päpste (Innozenz III, Bonifatius VIII) und Reformatoren (Müntzer, Calvin) machten den Anfang. Nach ihnen sahen sich Napoleon und Hitler als von der Vorsehung bestimmte, aber eigenständige (bzw. eigenmächtige) Macher der Geschichte an. Und der gegenwärtigen Supermacht ist die „Manifest Destiny“ immanent – die feste Überzeugung, dass Gott eine bestimmte Nation erwählt hat, die Geschicke der Welt zu lenken, um stets alles zu einem guten Ende zu führen (zumindest für die besagte Nation). Es geht um menschliche, nicht um göttliche Gerechtigkeit. Diese Aberration läuft aber dem Geist des Evangeliums zuwider (vgl. Mt. 6:33). Was erwartet Gott von Seinen Dienern? - „Keiner, der in den Krieg zieht, lässt sich in Alltagsgeschäfte verwickeln, denn er will, dass sein Heerführer mit ihm zufrieden ist“ (2 Tim. 2:4).

Was aber kann der tiefgründige Glaube an Jesus Christus bewirken in einer vom Ausmaß ihrer Brutalität und Widersinnigkeit her beängstigenden Welt? Weshalb „verkündigen wir Christus als den Gekreuzigten“ (1 Kor. 1:23)? – Nehmen wir die „Narren in Christus“ wie unseren hl. Isidor. Durch sein Wirken ist er geradezu ein Demonstrationsobjekt für die Kraft des Glaubens, die aus der Nachfolge des gekreuzigten Gottes und Erlösers wirksam wird: „Wir werden beschimpft und segnen, wir werden verfolgt und halten stand“ (1 Kor. 4:12). Wer stark im Glauben ist, der weiß, dass alles in dieser Welt gemäß Gottes Ratschluss geschieht, auch wenn es für den menschlichen Verstand (noch) unbegreiflich ist. Er bittet nicht darum, dass Gott Seine Pläne evtl. überdenken möge (ökumenische Festivitäten unserer Zeit überbieten sich dagegen gegenseitig in wohlgemeinten Ratschlägen an den lieben Gott), sondern sagt: „Nicht wie ich will, sondern wie Du willst“ (Mt. 26:40). So sieht Gottvertrauen aus! Die Folge: „Trotz all unserer Not bin ich von Trost erfüllt und ströme über vor Freude“ (2 Kor. 7:4b), sprachen mit dem Apostel alle Märtyrer und Bekenner seit der Frühepoche des Christentums bis in unsere Zeit. Und „Narren in Christus“ nahmen Misshandlungen sogar aus eigener Motivation auf sich, empfanden dabei die vollkommene Freude Christi (s. Joh. 15:11; 16:24; 1 Joh. 1:4; 2 Joh. 12). Der Erlöser hinterließ uns „nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt“ (s. Joh. 14:27b), sondern den Frieden, der aus dem Glauben an die Auferstehung hervorgeht (s. Joh. 20:19,21,26). Diesen Frieden wollen wir anstreben, nichts anderes!!! „Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott! Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren“ (Phil. 4:6-7). Und  wenn wir diesen Frieden, um den wir in jedem Gottesdienst beten, verinnerlicht haben, können wir allen Leidgeplagten und Mühseligen aus Erfahrung von der Leichtigkeit des Jochs Christi künden (s. Mt. 11:28), eines angenehmen Jochs, das wir nach dem Vorbild unseres himmlischen Fürsprechers gern auf uns nehmen wollen. Amen.

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch