Predigt zum Heiligen und Hohen Samstag (Röm. 6:3-11; Mt. 28:1-20) (27.04.2019)

Liebe Brüder und Schwestern,

heute ist der Große Samstag. Der Sabbat war von Anbeginn der Welt der geheiligte Tag, denn: „Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das Er geschaffen hatte, und Er ruhte am siebten Tag, nachdem Er Sein ganzes Werk vollbracht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig, denn an ihm ruhte Gott, nachdem Er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte“ (Gen. 2:2-3). Demzufolge war der siebte Tag im Gesetz Gottes der Tag der Ruhe: „Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte Er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt“ (Ex. 20:8-11). Der siebte Tag steht aber auch für das gegenwärtige Äon, denn die Zahl Sieben symbolisiert die Vervollkommnung des Menschen mit Gott (s. Spr. 9:1; Offb. 1:4;3:1;4:5). Heute kennen wir in der Kirche sieben Mysterien und erkennen als dogmatisch bindend die Beschlüsse von sieben Ökumenischen Konzilen an. Die Siebenzahl der Gnadengaben des Heiligen Geistes und die Annahme des auf sieben Konzilen verfassten Glaubens bedingt unser aller Mitgliedschaft in der Kirche, wodurch wir alle zu Gliedern am Leib Christi werden (s. Röm. 12:4-5). Soviel zu denen, die meinen, sie bräuchten keine Kirche, da sie bereits einen direkten persönlichen Draht zu Gott haben.

Wessen wir gestern, am Großen Freitag, gedacht haben, war der Kreuztod des Gottessohnes, für den unser aller Sünden ursächlich gewesen sind. Und heute stehen wir vor dem leblosen Leib unseres Herrn. An diesen anderthalb Tagen bildet ausnahmsweise nicht der Altar, sondern das Epitaphios den liturgischen Mittelpunkt in der Kirche; wir fallen also nicht, wie sonst immer, vor dem Thron Gottes im Himmel nieder, sondern vor dem Grab Christi auf Erden. Denn Gott ist jetzt auf Erden, Er liegt tot im Grabe. Und heute ist der Tag der Grabesruhe, der Sabbat des Herrn! „Dies ist der hochgesegnete Sabbat, an dem Christus entschlafen ist, am dritten Tage wird Er auferstehen“ (Ikos im Morgenamt).

Die vierzigtägige Fastenzeit diente zur Buße für unsere Sünden, deretwegen Gott auf Erden gekommen und den Kreuztod auf Sich genommen hat. Ist heute nicht der Tag, an dem wir erkennen, „was wir angerichtet haben“?!.. Oder bleiben unsere Herzen auch weiterhin verstockt und unzugänglich für die Gnade und die Liebe des Mensch gewordenen Gottes (vgl. Lk. 24:25-26,38)?

Noch wenige Stunden, und unsere Kirchen werden lichterloh erleuchtet sein. Auch unsere Herzen? Lasst uns jetzt ein letztes Mal an unsere Sünden, die wir in der Fastenzeit bereut haben, denken. Die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit führt zunächst zu einer Schockstarre, die Archimandrit Zacharias (Zacharou) aus dem Kloster des hl. Johannes des Täufers in Essex als „gnadenvolle Verzweiflung“ bezeichnet, die aber unabdingbar für die spürbare Wirksamkeit der Gnade in unseren Herzen ist. Einige aber sagen, Gott habe schon alles verziehen in der Taufe, Aber was ist mit den Sünden nach der Taufe? Reicht der einfache Glaube daran, dass uns Christus am Kreuze erlöst hat, schon als Garantie für den Sündenerlass – ohne ernsthafte Umkehr, ohne nennenswerte Reue? Kann ich dann nicht einfach sorglos weiterleben, Gott „im Herzen haben“ und natürlich an Seine alles verzeihende Milde glauben (s. Röm. 6:1,15)?! Waren demnach die Tränen des Petrus (Mt. 26:75; Mk. 14:72, Lk. 22:62) und die von Paulus in der Arabischen Wüste zugebrachte Bußzeit (s. Gal. 1:17) vergebliche Liebesmüh? Hätte ein einfaches „Sorry“ vielleicht auch genügt?

„Gott verzeiht alles“. Richtig! „Gottes Erbarmen ist grenzenlos“. Auch richtig! Es geht aber nicht um Gott, denn Gott kann nichts falsch machen, sondern um uns. Der Herr ist ein Gott der Liebe und der Wahrheit! Wäre dem nicht so, hätte Er schon nach dem Sündenfall im Paradies „fünf gerade sein lassen“ können, dann hätten wir gar nicht der Erlösung durch den Sohn Gottes bedurft. Ein ungezogener Flegel mag sich denken: „Mein herzensguter Vater verzeiht mir sowieso immer alles. Ich kann ungestraft meine Mutter kränken, die Geschwister ärgern, den Großeltern den respektvollen Umgang verweigern, die Haustiere quälen und Papas Mercedes zu Schrott fahren“. Auf welcher psychologischer Grundlage soll ihm der Vater denn all das verzeihen (ganz zu schweigen von der allgemein üblichen Auffassung von Recht und Ordnung sowie vom gesunden Menschenverstand)?! Wenn ich so handle, bezeuge ich damit, dass ich auch meinen Vater nicht respektiere (s. Ex. 20:12). Der liebende Vater bestraft seinen unverschämten Spross (s. Spr. 23:12-14), damit dieser endlich seine Verfehlungen bereut und ihn um Verzeihung bittet. Sicher würde Gottes Liebe auch für alle Nichtchristen – Hindus, Buddhisten, Juden, Moslems, Sektierer, Atheisten und Satanisten ausreichen, auch für mich, wenn ich den Glauben verleugne, aber, wie bereits erwähnt, bin ich es dann, der es Gott unmöglich macht, mir die Vergebung zu gewähren (s. Mk. 8:37; Lk. 9:26). Ich verfüge zwar (dank des Evangeliums) über das heilsnotwendige Wissen und (dank Taufe und Myronsalbung) die Möglichkeit, Gottes Willen zu erfüllen – und missachte ihn trotzdem!?.. Ich kann doch als Christ nicht im Ernst erwarten, dass Gott mir zuliebe weniger strenge Maßstäbe anlegt, die Er vielleicht bei einem als Heiden Geborenen anwenden würde (s. Lk. 12:47-48)!

Mich wundert es gar nicht mehr, dass sich der „ökumenische“ Dialog in unserer Gesellschaft schwerpunktmäßig immer weiter vom interkonfessionellem zum interreligiösen Austausch verlagert hat. Das Leben nach dem Geist Christi (s. Röm. 8:9) ist zu anspruchsvoll, zu anstrengend, zu radikal für den modernen Bequemlichkeitsliebhaber geworden. Deswegen ist jetzt ein Christentum ohne jegliche Regel, ohne verbindliche Gerichtsbarkeit „in“ geworden. Manche – Russen, Deutsche, Georgier und andere – konvertieren gleich zum Islam: dort, sagen sie, ist alles einfach und verständlich. Es gibt fünf Säulen: der Glaube an Allah als den einzigen Gott und an seinen Propheten Mohammed; das fünfmalige Gebet am Tag; das Fasten im Ramadan; die Pilgerfahrt ein Mal im Leben nach Mekka; das Almosen. All das kann man penibel befolgen, ohne etwas an sich selbst zu ändern. Hauptsache, es ist einfach zu befolgen (zumindest, wenn der Ramadan nicht ausgerechnet im Juni ist und man sich nicht gerade auf Spitzbergen befindet). Es ist geradezu so, als ob einer den Nobelpreis gewinnen wollte, aber dafür nur bereit wäre, das kleine Einmaleins auswendig zu lernen. Unser Glaube ist da anders: Gott hat für uns das Maximum gegeben (s. Phil. 2:6-8); also erwartet Er von uns jetzt nicht das Minimum (s. Mt. 16:24-25; Mk. 8:34-35; Lk. 9:23-24)! Wie kann man denn allen Ernstes glauben, dass auch eine Light-Version des Christentums für das Seelenheil ausreichend sein könnte: Sich in dieser Welt gut einrichten und sich nebenbei das Himmelreich mühelos hinzuverdienen (s. Mt. 6:24; Lk. 16:13)?!!..  

Als Glied am Leib Christi kann für mich nur der eine Maßstab gelten: Christus nachzueifern, Ihm in allem ähnlich sein, durch die Gnade des Heiligen Geistes die Vergöttlichung zu erlangen. Alle notwendigen Gnadengaben habe ich erhalten, jetzt muss ich Gott, meinen Herrn, von ganzem Herzen, mit dem ganzen Verstand und aus ganzer Kraft lieben, und meinen Nächsten wie mich selbst. Nur zwei Gebote – aber wer kann sie zur Gänze befolgen?!...

Wenn ich als gläubiger Christ dann ohne aufrichtige Reue und glaubhafte Bußbereitschaft Verzeihung zu erlangen gedenke, dann bedeutet es doch, dass ich in meinem Innersten eine Art Rechtsanspruch auf Vergebung postuliere. Dies aber ist vollkommen abwegig, denn es würde ja bedeuten, dass der Richter nicht souverän in Seiner Entscheidung ist, sondern Sich meinem menschlichen Willen und meinem fleischlichen Denken (s. Röm. 8:7) zu unterwerfen habe. Absurd!!!.. Ohne jeden Zweifel ist Gott gnädig und barmherzig, weshalb Ihn auch der größte Verbrecher mit dem letzten Atemzug demütig um Verzeihung b-i-t-t-e-n darf (s. Lk. 23:42-43), aber es ist allein Gottes Entscheidung, ob mir von Ihm Gnade gewährt wird!.. Übrigens bekannte auch der Räuber zur Linken den Herrn als Messias (s. Lk. 23:39), nur zeigte er keine Reue für seine Taten...

Und so glaube ich, dass Gottes Güte meine Sündhaftigkeit um das Unendliche überragt, zudem hoffe ich, dass mein reuevolles und demütiges Flehen um Vergebung bei Ihm Gehör findet (s. Ps. 50:19), damit ich dann in der unendlich gnädigen Einswerdung mit Christus richtig liebe. „Amo, ergo sum!“ – sagt Archimandrit Sofronij (Sacharov, + 1996); „Ich liebe, also bin ich!“

Und so lebt Christus uns in Seinem Begrabensein vor, wie die größte aller Gaben zu sein hat (s. 1 Kor. 13:13), denn: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh. 15:13). Amen.  

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch