Predigt zum Heiligen und Hohen Donnerstag (Lk. 22:1-39/Orthros/; 1. Kor. 11:23-32; kombinierte Lesung: Mt. 26:1-20; Joh. 13:3-17; Mt. 26:21-39; Lk. 22:43-45; Mt. 26:40 - 27:2/Liturgie/; zur Fußwaschung: Joh. 13:1-11; nach der Fußwaschung: Joh. 13:12-17)

Liebe Brüder und Schwestern,

inmitten der Karwoche ist der Verrat des Herrn durch Judas bereits beschlossene Sache, in der heutigen Nacht beginnt endgültig das Leiden unseres Herrn. Heute Abend vernehmen wir andächtig die zwölf Lesungen von der Passion Christi. Aber vorher wird uns am heutigen Donnerstag ein Tag der Freude gewährt: der Herr gründet zum Höhepunkt des alttestamentlichen Pessach den Neuen Bund in Seinem Blut (s. Mt. 26:28; Lk. 22:20; 1 Kor. 11:25). Wir sind nunmehr nicht bloß geistliche Nachkommen Abrahams und Davids (s. Mt. 1:17; vgl. Gen. 13:16; 15:5; 16:10; 17:7,10,19; 26:4,24; 32:13), sondern Blutsverwandte Gottes!

Die Karwoche wurde durch den Einzug des Herrn in die heilige Stadt eingeläutet. Wir hielten Palmzweige (bzw. Weidenkätzchen) als „Sinnbilder des Sieges“ (aus dem Troparion) in den Händen. So bereitete man in der antiken Welt siegreichen Feldherren einen triumphalen Empfang, im zwanzigsten Jahrhundert wurden auf ähnlich begeisternde Weise die Rückkehr des ersten Menschen aus dem Weltall und der ersten Menschen vom Mond bejubelt. Heute würde eine bestimmte Altersgruppe vielleicht einen bekannten Pop-Star nach dem Gewinn eines Musikwettbewerbs oder niemals erwachsen gewordene Fußballfans wie ich ihre Lieblingsmannschaft nach einem Titelgewinn empfangen. Doch was ist im Vergleich dazu der „Sieger über den Tod“ (ebenfalls aus dem Troparion zum Fest)?! Der Tod ist das schrecklichste, was es gibt. Was würden die Menschen geben, wenn es irgendjemanden oder irgendetwas gäbe, das den Tod überwinden hälfe?!! - Aber es gibt doch Christus, von den Toten auferweckt, „als der Erste der Entschlafenen“ (1 Kor. 15:20). „Da nämlich durch  e i n e n Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch  e i n e n Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden“ (1 Kor. 15:21-22). Er hat den schlimmsten Widersacher, den alle fürchten und gegen den alle machtlos sind, besiegt: „Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod“ (1 Kor.15:26). Ja, welchen Empfang sollten wir dann wohl erst diesem Triumphator bereiten? Müssten wir nicht kreischen vor Glück und Dankbarkeit?.. Doch stattdessen wird der Bezwinger des Todes Selbst dem Tode ausgeliefert! Verraten, verlassen, verspottet, verleumdet und verunglimpft. Wo sind die Lahmen, Blinden und Aussätzigen, die Er geheilt hat oder die von unreinen Geistern Geplagten, die Er vom Leid befreit hat?!..

Die Volksmenge feierte vor zweitausend Jahren zunächst den Wundertäter, von Dem sie sich die Verwirklichung aller nationalistischen Erwartungsträume erhoffte. Wir hingegen begrüßten am letzten Sonntag den Urheber des Lebens. Was uns davor bewahren kann, in Zeiten der Drangsal oder im Falle enttäuschter persönlicher Erwartungen ebenfalls zu Verrätern zu werden, die Christus ans Kreuz nageln wollen, ist das Eingeständnis unserer Sünden, für die Christus am Kreuz hängen musste. Es gibt nur ein Mittel zur „Vergebung der Sünden“ (Mt.26:28) – die „Blutbande“ zwischen Gott und Mensch in der Heiligen Kommunion. Dieses neue Pessach (s. 1 Kor. 5:7), die Erlösung aus den Fängen der Sünde und des Todes beginnt jetzt, am heutigen Tag. Es ist das größte Wunder der Gnade Gottes für uns Gefallene. Doch trotzdem kommt es massenweise vor, dass „gläubige“ Menschen an Tagen wie diesen lieber im Kleingarten Gemüse pflanzen bzw. Bratwürste grillen und Bier trinken, anstatt am vergöttlichenden Leib und Blut Christi teilzunehmen. Er sagte ja: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in Mir bleibt und in wem Ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von Mir könnt ihr nichts vollbringen. Wer nicht in Mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen, und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen“ (Joh. 15:5-6). Auch Adam und Eva wollten ihr Glück ohne die Gemeinschaft mit Gott versuchen...

Im heutigen großen Tag der Einsetzung des Mysteriums der Eucharistie erkennen wir, wie unendlich dankbar wir für all das sein müssen, was der Herr für uns vollbracht hat. Wir haben nun alle die Möglichkeit, durch die Gemeinschaft mit Ihm das ewige Leben in unendlicher Seligkeit zu erlangen. Was wollen wir denn mehr?! - Es gibt (aus Sicht des Glaubens) nichts mehr, was wir uns dazu wünschen könnten. Und so sollte die Teilnahme am heiligen Mysterium des Leibes und des Blutes Christi auch Ausdruck unseres Dankes für das unendlich wertvolle Opfer sein, das unser Gott für uns erbracht hat, „denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass Er Seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat Seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit Er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch Ihn gerettet wird. Wer an Ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat. Denn mit dem Gericht verhält es sich so: Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Taten waren böse. Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind“ (Joh. 3:16-21). Mit Christus habe ich nichts zu befürchten, also werde ich doch alles unternehmen, um die seit meiner Taufe bestehende Gemeinschaft mit Ihm nicht abreißen zu lassen. Die Möglichkeit zur Erlangung dieses jegliche Vorstellungskraft übersteigenden Glückszustands wurde mir am Hohen und Heiligen Donnerstag geschenkt. Amen.

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch