Predigt zum zweiten Herrentag der Großen Fastenzeit / Gedächtnis des heiligen Gregorios Palamas (Hebr. 1:10-2:3; Hebr. 7:26-8:2; Mk. 2:1-12; Joh. 10:9-16) (24.03.2019)

„Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, Der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt Seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der Er sich alles unterwerfen kann“ (Phil. 3:20-21).

Liebe Brüder und Schwestern,

am zweiten Sonntag der großen Fastenzeit feiern wir das Gedächtnis des hl. Gregorios Palamas (+1357), des Erzbischofs von Thessaloniki, der die auf dem heiligen Berg Athos und in anderen byzantinischen Klöstern angewandte  Praxis vom ununterbrochenen Gebet gegen den scholastischen Rationalismus der Lateiner in seinen Schriften rechtfertigte. Vor allem verteidigte er in seinem Disput mit Barlaam aus Kalabrien die Authentizität der gnadenreichen Wahrnehmung der ungeschaffenen Energien Gottes in Form des Lichtes, das die drei Jünger auf dem Berg der Verklärung Christi geschaut hatten. Mit anderen Worten, kann der Mensch durch kontinuierliche, lebenslange Askese so eine Reinheit des Herzens erlangen, dass er mit den leiblichen Augen die Herrlichkeit Gottes erkennen kann – nicht Gott von Seinem Wesen her, denn das ist den Menschen nicht möglich (s. Joh. 1:18), wohl aber in Seinen Energien (s. Mt. 5:8; 1 Joh. 1:5). Durch ein Leben in völliger Hingabe kann der Mensch die Ähnlichkeit Gottes der Gnade nach (s. Gen. 1:26), nicht dem Wesen nach, erlangen. Hat er diesen Zustand der Liebe – Gott ist Liebe (s. 1 Joh. 4:8,16b) – wird er die Liebe auch in sich selbst haben und das Gebot der Nächstenliebe erfüllen sowie selbst im Licht wandeln (s. 1 Joh. 2:8-11). Diese Möglichkeit, das Reich Gottes schon im Diesseits mit den leiblichen Augen zu sehen, hatte der Herr kurz vor Seiner Verklärung auf dem Berg Thabor angedeutet (s. Mt. 16:28; Mk. 9:1; Lk. 9:26). Was die drei Jünger dort, erlebten, war ein Vorgeschmack der kommenden Herrlichkeit, an der Gott Seine Geschöpfe schon auf Erden partizipieren lässt. „Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter“ (Phil. 3:20-21).

Es geht für uns heute also darum, dass jeder Gläubige durch ein Fortschreiten im geistlichen Leben und in der Vermehrung der Gnadengaben (s. Joh. 1:16) seine sündhaften Leidenschaften besiegen soll. Grundvoraussetzung ist aber der Glaube, wie ihn die Gemeinschaft der Gläubigen bekundet (vgl. Mk. 2:5a). Nur in dieser Gemeinschaft mit Christus ist die Vergebung der Sünden, der Ursache jeglichen Leids, möglich.

Allerdings dürfen wir nicht auf eine schnelle und einfache Befreiung von Neid, Zorn, Hochmut, Trägheit, unkeuschen Gedanken und dem Richten des Nächsten hoffen. Das wäre zu einfach. Wohl aber dürfen wir auf eine rasche Vergebung unserer Sünden und Verfehlungen hoffen, so wir sie denn aufrichtig bereuen. Diese Ernsthaftigkeit der Buße wird dann auch ausschlaggebend dafür sein, wie schnell wir uns von unseren Lastern befreien werden. Hier kommt die Askese ins Spiel. Wir wissen doch alle, wie leicht es einem fällt, nach einem langen Gebet zu Hause oder in der Kirche, insbesondere jedoch nach mehreren Gottesdiensten möglichst über mehrere Tage hintereinander z.B. auf Fernsehkonsum,  unnützes Geschwätz, Fressorgien etc. zu verzichten. Mehr noch, die Seele betrachtet diese Dinge danach als widerliche, ekelhafte Störung des Friedens im Herzen, als penetranten Eingriff in jene innere Ruhe (griech. hesychia), die den Menschen auch außerhalb der Liturgie in der Gemeinschaft mit Gott wandeln und sich so dem Himmelreich nähern lässt (vgl. Gen. 5:24). Mit menschlichen Mitteln allein wird keiner Herr über die Leidenschaften, auch wenn ihm Gottvertrauen, Geduld und Beharrlichkeit abverlangt werden (s. Ps. 70:5). Mit Hilfe Gottes in den heiligen Mysterien und durch die geistliche Führung der Kirche gelangt er letztlich aber aus eigenem Antrieb zur Erkenntnis dessen, was für ihn nützlich und was für ihn schädlich ist (vgl. 1 Kor. 6:12).

Durch die Heilung des Gelähmten von Kafarnaum zeigt der Herr, dass alles Übel von der Sünde (s. Mk. 2:5b), sprich, der Entfremdung von Gott, kommt. Im Gelähmten erkennen wir bildhaft unsere zwar gläubige, aber völlig paralysierte Seele, die im Alltagsstress (vgl. Mt. 13:22; Mk. 4:19; Lk. 8:14)  nicht richtig beten kann, kaum Zeit zum Lesen der Heiligen Schrift bzw. geistlicher Literatur findet, die ständig zerstreut, abgelenkt oder in völlig unbrauchbare Tätigkeiten verwickelt ist. Die Fastenzeit bietet jedes Mal die Möglichkeit, einen ernsthaften Neuanfang zu machen, um Den nach besten Kräften zu suchen, Der „unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt Seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der Er Sich alles unterwerfen kann“ (Phil. 3:18). In mir erweckt die zaghafte Besinnung auf das, was im Leben vor Gott wirklich zählt (vgl. Lk.  10:42), „Neid“ auf die Mönche und Nonnen, die sich allen unnötigen irdischen Ballastes entledigt haben. Wir können es aber auch, wenigstens teilweise und  über einen begrenzten Zeitraum, versuchen, uns verstärkt dem Seelenheil zu widmen. Dafür sollten wir dankbar sein - und nicht gleich den Mut verlieren, wenn der Magen beim Passieren der Fleischtheke im Supermarkt knurrt, die Freunde zum gemeinsamen Freizeitvergnügen einladen oder wenn der Nachbar bei frühlingshaftem Wetter die Grillsaison eröffnet. Das Leben hat doch nur Sinn, wenn es mit göttlicher Gemeinschaft erfüllt ist! Lasst uns also ein für alle Mal erkennen, „dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf Erden Sünden zu vergeben“ (Mk. 2:10). Diese Vollmacht übergab Er der von Ihm begründeten Gemeinschaft (s. Joh. 20:23). Und wer da nicht dazugehören will, ist selber schuld. Amen.

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch