Predigt zur Internationalen Gebetswoche der Evangelischen Allianz in Weimar Ort: Stadtbücherei Weimar Thema: „Einheit leben lernen“ (15.01.2019)

„Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält“ (Eph. 4:2-3)

Liebe Brüder und Schwestern,

als an mich die Bitte herangetragen wurde, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen, wurde als Leitmotiv eine eindeutige Betonung der Demut und ihrer Bedeutung für das christliche Zusammensein vereinbart. Diese Schwerpunktbestimmung kommt uns sehr zupass, denn aus patristischer Sicht ist die Demut das Fundament für jegliches Fortschreiten im geistlichen Leben. Wir wissen ja aus dem Gleichnis vom Zöllner und vom Pharisäer (Lk. 18:10-14), dass der Pharisäer, von außen betrachtet, alles mitbrachte, um Gott zu gefallen – er betete, fastete, spendete für den Tempel, war moralisch vollkommen integer, - hatte aber – im Gegensatz zum moralisch labilen Zöllner - keine Demut. Und so verwarf Gott das selbstherrliche und hochmütige Geschwafel des Pharisäers, während das reumütige Gebet des Zöllners zur Rechtfertigung desselben diente. Daher ist die Demut der Schlüssel zur Rechtfertigung vor Gott.

Wir haben das absolute Vorbild in unserem Herrn Jesus Christus Selbst, Der da spricht: „Kommt alle zu Mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt Mein Joch auf euch und lernt von Mir, denn Ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele“ (Mt. 11:28-29). Und der hl. Apostel Paulus ergänzt: „Ahmt Gott nach als Seine geliebten Kinder, und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und Sich für uns hingegeben hat als Gabe und als Opfer, das Gott gefällt“ (Eph. 5:1). „Christ sein“ bedeutet ja nichts anderes, als in den Namen Christi getauft (s. Apg. 2:38; Röm. 6:3; Gal. 3:27) sein und Ihn im eigenen Leib Gestalt annehmen zu lassen (s. Gal. 2:20; 4:19).

In der orthodoxen Tradition verehren wir die Heiligen, die ein Leben in der Nachfolge Christi geführt haben, so wie es der Apostel Paulus tat: „Ahmt auch ihr mir nach, Brüder, und achtet auf jene, die nach dem Vorbild leben, das ihr an uns habt“ (Phil. 3:17; vgl. Phil. 4:9). Hierbei ist jedoch nicht ausschlaggebend, dass diese Heiligen Wunder vollbracht haben, sondern, dass sie sich selbst für geringer als alle anderen erachteten. Wie aber ist es möglich, dass einer, der Kranke durch Handauflegen heilt und sogar Tote auferweckt, sich selbst als „Abschaum der Welt“ (1 Kor. 4:13) bezeichnen kann, - niedriger als Verbrecher, Tyrannen und amoralischen Menschen?!.. - Weil er und seinesgleichen Christus in Dessen Demut nachahmten! Christus wollte nämlich „in allem Seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen. Denn da Er Selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat, kann Er denen helfen, die in Versuchung geführt werden“ (Hebr. 2:17-18). Und: „Wir haben ja nicht einen Hohepriester, der nicht mitfühlen könnte, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat“ (Hebr. 4:15).

Gerade eben ist bei uns das Nachfest der Geburt Christi zu Ende gegangen. Wir lasen am Sonntag die Worte des Apostels Paulus: „Das Evangelium, das ich verkündigt habe, stammt nicht von Menschen; ich habe es ja nicht von einem Menschen übernommen oder gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi empfangen“ (Gal. 1:11-12). Die Verkündigung der Frohen Botschaft, hat der Apostel also nicht von Menschen, sondern durch die Offenbarung Gottes erhalten. Und ich wage zu behaupten, dass das Kriterium für den göttlichen Ursprung des Evangeliums die unergründliche Demut unseres Herrn ist. Ein menschengemachtes Evangelium hätte sicher die Größe und die Allmacht Gottes zum Hauptthema gehabt, vielleicht auch Seine Güte, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Ein Evangelium jedoch, das mit der menschlichen Abstammung des Erlösers beginnt, die noch dazu zahlreiche „Ungereimtheiten“ enthält, welche wiederum auch noch besonders hervorgehoben werden (Tamar, Rahab, Rut, die Frau des Urija), konnte nicht von Menschen erfunden worden sein. Ein Gott, Der Sich in menschliche Schwäche kleidet, in einem Viehstall geboren, in eine Futterkrippe gelegt und in Windeln gewickelt wird, wobei die Höhle ikonographisch schon das Grab Christi andeutet und die Windeln die Grabesbinden vorabbilden; ein Gott, Der Sich später verraten, verspotten, bespucken, auspeitschen und mit genagelten Stöcken schlagen lässt, Der Sich anstelle eines freigesprochenen Mörders verurteilen und ans Kreuz nageln lässt, den Tod erleidet und in die Hölle fährt (also an den einzigen Ort gelangt, wo es Gott nicht gibt!) - und all das freiwillig! - diesen Gott konnten Menschen wirklich nicht erfunden haben. „Credo, quia absurdum est!“ (Ich glaube es, weil es so unglaublich ist!“). Dieser Gott musste Sich uns erst offenbaren – in Jesus Christus! Und diese Offenbarung ist die eines Gottes der Demut!  

Für uns bedeutet es, dass wir so gesinnt sein müssen, „wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern Er entäußerte Sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; Er erniedrigte Sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil. 2:5-8). Indem Er Seine Jünger ermahnte, nicht nach Macht und Vorrangstellung zu streben, sondern Ihm nachzueifern, sagte Er: „Ich bin unter euch wie der, der bedient“ (Lk. 22:27). Ganz ehrlich, einen „besseren“ Gott kann man sich doch gar nicht vorstellen! Dazu reicht die menschliche Vorstellungskraft bei weitem nicht aus.

Demütig sein, heißt erkennen, dass wir diese Gnade nicht verdienen, da wir niemals den Ansprüchen dieses Gottes genügen werden, die da lauten: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt. 5:48).

Was aber sollen oder können wir tun, um das Unmögliche doch zu erfüllen?

Da ist zum einen die unserer Schwäche geschuldete „vereinfachte Variante“, wie wir sie aus dem Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger kennen (Mt. 18:25-35): Gott wird uns unsere unzähligen Verfehlungen vergeben, wenn auch wir unseren Mitmenschen das uns im Vergleich dazu geringfügig beigebrachte Leid vergeben. „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer himmlischer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Mt. 6:14-15). Eigentlich bedürfte es für unser menschliches Zusammenleben keiner weiteren Anordnungen, wenn wir nur diese eine Regel beherzigen würden: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ (Mt. 6:12). Wir bringen unserem Gott also eine menschlich realistische Dosis an Demut dar (indem wir uns vor unseren Schuldigern „demütigen“), worauf Gott uns Seine unbegrenzte Demut angedeihen lässt (denn um uns zu vergeben, bedarf es aus göttlicher Perspektive fürwahr einer Demut unendlichen Ausmaßes).

Zum anderen wäre da die Gnade Gottes, die sich in den Mysterien der Kirche zeigt und nur durch den Glauben zu erlangen ist. In der Beichte erhalte ich den Erlass meiner Sünden (s. Joh. 20:23), im Empfang des Leibes und des Blutes Christi werde ich eins mit meinem Erlöser und Gott (s. Joh. 6:56). Ich Sünder werde durch die Gnade Gottes geheiligt! Der Gnade nach bin ich plötzlich mit Christus „auf gleicher Augenhöhe“, obgleich ich Sünder bin und bleibe.

Aber besteht nicht die Gefahr, daraufhin „abzuheben“? … - Nicht, wenn wir die Aussagen des Evangeliums Christi richtig (also mit Demut!) deuten. Nehmen wir das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (s. Lk. 10:30-37): Bei dem Menschen, der von den Räubern überfallen wird, handelt es sich um mich, der ich die himmlische Wonne der Gemeinschaft mit Gott (Jerusalem, ca. 800 m ü. N.N.) verließ und mich geradewegs auf den Weg in die höllische Knechtschaft (Jericho, ca. 400 m u. N,N.) begeben habe und dabei unweigerlich zur Beute böser Dämonen geworden sind. Nur Christus, der „barmherzige Samariter“, kann meine Wunden verarzten, indem er mir die Gnade Seiner Mysterien, symbolisiert durch Öl (Myronsalbung) und Wein (Eucharistie), darreicht. Oder die Austreibung der Dämonen aus dem Besessenen von Gerasa (s. Mt. 8:28-34; Mk. 5:1-20; Lk. 8:26-39): Ich bin derjenige, der von dämonischen Leidenschaften besessen ist. Christus kommt, um mich zu heilen, aber unsere säkulare Umwelt will wie die Gerasener, dass Christus wieder auf dem Absatz kehrt macht und aus unserer Gesellschaft, aus unserem Leben verschwindet.

Ich brauche den Arzt mehr als alle anderen (vgl. Mt. 9:12; Mk. 2:17; Lk. 5:31). Wie der Apostel kann ich mich nur meiner Schwachheit rühmen (s. 2 Kor. 11:30; 12:5), „damit die Kraft Christi auf mich herabkommt“ (12:9). Mithilfe des „Arztes“ bin ich wie ein gemeingefährlicher Triebtäter, der zwar immer noch unverändert krank ist, der aber dank der „Medikamente“ der Kirche (Beichte, Eucharistie) ein normales Leben führen kann. Ich wüsste auch wirklich nicht, womit ich mich rühmen könnte, da ich doch mein seelisches Wohlergehen allein dem Geschick des „Arztes“ und der „Medizin“ zu verdanken habe.

Demut vermag große Werke des Glaubens vollbringen. Mit diesen sind in der Sprache des Neuen Testaments übrigens nicht etwa soziale Projekte oder karitative Werke gemeint, die zwar als Ausdruck der Nächstenliebe und Barmherzigkeit zum christlichen Leben dazugehören, die aber auch von Nichtgläubigen vollbracht werden können. Durch Werke des Fleisches kann materielle Not gelindert und körperliches Leid gestillt werden, die Seele aber wird durch sie allein nicht gerettet. Mit wahren Gott gefälligen Werken, ohne die der Glaube tot ist (s. Jak. 1:17), ist das gemeint, was die Seele vor Gott rein macht, allen voran die Demut als Geisteshaltung. Demut ist doch die menschenmögliche Einsicht der eigenen, eigentlich selbstverständlichen, Unwürdigkeit vor Gott. Um vor Gott demütig zu sein, d.h. nach Seinem Willen zu leben, muss man auch gegebenenfalls bereit sein, gegen menschliche Gepflogenheiten zu handeln: „Geht es mir denn um die Zustimmung der Menschen, oder geht es mir um Gott? Suche ich etwa Menschen zu gefallen? Wollte ich noch den Menschen gefallen, dann wäre ich kein Knecht Christi“ (Gal. 1:10). Nur die ungebrochene Treue zu den Geboten Gottes führt zur Demut vor Gott! Ohne Demut erweisen sich „gute Werke“ nur als Menschengefälligkeit, als humanistisch dekorierte Alibi-Veranstaltung für den Mangel an Gottergebenheit, „denn alle, die vom Fleisch bestimmt sind, trachten nach dem, was dem Fleisch entspricht, alle, die vom Geist bestimmt sind, nach dem, was dem Geist entspricht. Das Trachten des Fleisches führt zum Tod, das Trachten des Geistes aber zu Leben und Frieden. Das Trachten des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott; es unterwirft sich nicht dem Gesetz Gottes und kann es auch nicht“ (Röm. 8:5-7). Eine Aussage, die nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Vielleicht muten die vorangegangenen Ausführungen zu theoretisch an und mögen sogar die zahlreichen Bibelzitate dem praxisorientierten Durchschnittschristen zu abstrakt vorkommen, um von ihm in die Tat umgesetzt werden zu können.  Ohne Demut, also ohne das Eingeständnis, dass ich vor Gott ein Nichts bin („Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch“ - Ps. 21:7), wird das Gebet statt zu einer Zwiesprache mit Gott zum Monolog. Die Demut ist aber die wichtigste Voraussetzung für unser geistliches Leben. Das kann jeder, aber wirklich jeder aus eigener Erfahrung feststellen, denn „ein zerschlagenes und demütiges Herz wird Gott nicht verachten“ (Ps. 50:19). Wenn ich also vor Gott meine unzähligen Sünden beweine, aufrichtig bereue, um Vergebung bitte, dann spüre ich, dass Gott mein Gebet annimmt, wie sich der Vater seines verlorenen Sohnes erbarmt hat (s. Lk. 15: 17-24). Es ist eine wunderbare Erfahrung, die ich jedem hier Anwesenden nur wünschen kann, weil durch sie eine bislang nur imaginäre Beziehung zu Gott zu einer lebendigen Gemeinschaft mit Gott werden kann. Dafür müssten wir aber erkennen, dass die Demut die einzige „Wellenlänge“ ist, auf der wir mit Gott kommunizieren dürfen. Amen.

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch